Heute ist es wieder Zeit für eine Geschichte, die schon eine ganze Weile in der virtuellen Schublade ruht. Es geht um ein Bild und eine Welt, die nur aus Wolken und Kristallen besteht. Sie ist nun schon etwa 9 Jahre alt und wird bald 10, wie schnell doch die Zeit dahin rast. Seid daher bitte gnädig mit mir. Sie ist noch sehr ungeschliffen und roh, die Idee finde ich immer noch sehr schön. Viel Spaß beim Lesen!

Kristallwolkenklar

Das sanfte Rauschen der Motoren klang wie Musik in ihren Ohren. Der kleine Aufklärer trieb leicht schwankend zwischen den Wolken dahin. Seit sie denken konnte, war sie mit dessen metallischem Geruch, der klapprigen Ladeluke und dem surrenden Rotoren vertraut. Mit dem Takt der Motoren schlug ihr Herz. Das Innere des ovalen Fluggeräts war ihr zu Hause. Sie tippte auf der glatt glänzende Oberfläche der Steuerung mit den leuchtenden Symbolen, die daraufhin erloschen. Die Rotoren an den Flügel der Flugmaschine wurden langsamer. Sanft stieß der Flieger durch die nächste Wolkenschicht und zog einige Nebelreste mit sich. Sie zerstoben an den rotierenden Blättern.

„Wir haben jetzt die optimale Höhe erreicht und kommen in den klaren Wolkenbereich. Aktiviere den Sichtmodus.“

Sie lehnte sich in ihrem Sitz leicht vor, um die Steuerkombination in die Anlage einzugeben. Flink fuhren ihre Hände über die Apparatur und lösten eine wirbelnde Farbwolke auf dem glänzenden Display vor ihr aus. Sie legte ihre flache Hand auf die angeschrägte Glasfläche und schloß einen kurzen Moment die Augen. Die Farbwolke stob vor ihrem inneren Auge auf, wirbelte, drehte sich, bis nur noch ein Farbton dick und satt wabernd übrig blieb. Tieforangene Täler und weiche zart gelb schimmernde Wolkenberge traten vor ihrem inneren Auge hervor. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen und sie öffnete die Augen. Jemand war neben sie getreten und hatte eine Hand auf die Lehne ihres Sessels gelegt.

„Ich bewundere immer wieder mit welcher Leichtigkeit sie dieses Ding steuern können.“

Es war einer der jungen Rekruten, von denen drei sie auf ihren Flügen begleiteten. Sein Blick schien sich an dem Display festgesaugt zu haben, auf dem nun unter ihrer Hand ein satt orangenes Wolkenmeer zu wabern schien.

„Wer weiß, vielleicht fühlen sie sich eines Tages auch dazu berufen,“ sagte sie und schenkte ihm ein kurzes Lächeln. Sie löste ihre Hand von dem kühlen Glas. Ruckartig verstummten die ratternden Geräusche der Motoren. Ein leises Zischen erklang, nur für ihre Ohren wahrnehmbar und die Wände, die den kleinen Flieger mit nur einigen Zentimetern Metall von der Außenwelt trennten, verschwanden und schienen sich in Luft aufzulösen. Ein Laut des Erstaunens schlich sich durch die Lippen des jungen Mannes, als er über einem endlosen Wolkenmeer ohne Dach und Boden dahin schwebte. Sie vernahm aufgeregtes Gemurmel aus dem hinteren Teil des Schiffes und als sie sich umwandte, sah sie, dass die zwei anderen Rekruten erstaunt aufgesprungen waren. Eine junge, schmale Frau saß zwischen ihnen auf der kleinen Bank und hatte die Augen geschlossen. Ihre blasse Haut schimmerte leicht unter dem langen rotbraunen Haar. Sie schien zu schlafen, doch Skyum wusste, dass sie auf etwas lauschte, einen Ton, eine Stimme, eine leise Melodie. Schwankend suchten die Rekruten Halt an der unsichbaren Wand. Dann herrschte für einen kurzen Moment atemlose Stille, als die drei gebannt unter sich in das Wolkenmeer starrten. Es schien sich endlos in die Ferne aufzuspannen. Der kleine Flieger schwebte in und zwischen, scheinbar auf den Wolken. Große Zuckerwatte ähnliche Wolkenberge türmten sich unter dem Flieger auf, deren Spitze nur wenige Zentimeter von ihren Fußsohlen entfernt war. Und es war ihr, als könnte sie die Wolken riechen, deren Farbton, von der untergehenden Sonne in tiefes Orange getaucht, bei jedem Atemzug auf ihrer Zunge schmecken.

„Wir sind in Position. Kyinn, Sie können mit ihrer Arbeit beginnen,“ sagte sie an die junge Frau gewandt. Mit ungewöhnlicher Eleganz erhob diese sich. Ihr fließendes, pechschwarzes Gewand flatterte leicht im Luftzug als sie sich in die Mitte des Fliegers begab.

„Dann öffnen sie die Luke, Skyum.“

Ihre Augen begegneten den ihren. Tiefschwarze endlose Nacht trat ihr aus den Augen der Seherin entgegen. Es war ihr als blickte sie in die Endlosigkeit des schwarzen Weltenmeeres, das zwischen ihrer Heimat und dem Hier und Jetzt lag, an dem sie seit dem Ende gekettet waren. Kyinn war eine von denen, die wirklich sehen konnte, die ihre letzte Zuflucht erblickt hatte und in dem sattfarbenem Geschmack der Wolken auch das Lied ihrer alten Heimat wiedererkannte. Das Klingen und Wispern des Windes, die Sprache der Wolken und der Farben verstand und in ihr die langersehnte Sicherheit immer wieder aufs Neue ausmachen konnte. Skyum riss sich von den Augen der Seherin los und trat zur Konsole.

„Bitte zurücktreten. Ich öffne die Luke.“

Ein Klappern und ein Knirschen erklang, als der unsichtbare Boden ein Loch zu den Wolken freigab. Kyinn trat an den Rand, den selbst Skyum kaum wahrnehmen konnte. Doch sie schritt mit traumwandlerischer Sicherheit der Klippe zwischen dem Wolkenmeer und der Sicherheit des Fliegers entgegen. Ihren Blick richtet sie in die Wolken unter ihr, die Hände hinter ihrem Rücken verschränkt, schienen sich ihre Augen in der Weite der Wolken und der Farben zu verlieren.

„Zu dunkel…“ flüsterte sie, nur der Hauch eines Atemzugs. Skyum tippte kurz auf den gläsernen Steuerpult. Sanft glitt der Flieger wenige Schritte durch die Wolkenschluchten. Kyinn schloss die Augen und schien in die Leere zwischen den Wolken zu lauschen. Es herrschte atemlose Stille im Flieger. Nur das sanfte Tackern des Resevereantriebs durchzog die Stille wie ein unsichtbarer Faden. Skyum schloss ebenfalls die Augen, hörte jedoch nur das Tackern der kleinen Zahnrädern im Inneren des Maschinenbauches. Jede einzelne Schraube, jede Feder hätte sie anhand ihres Geräusches benennen können. Doch der Gesang ihrer Heimatwelt blieb ihr verwehrt, hier in der Fremde blieb sie für ihre Ohren stumm. Wie sehr hatte sie es sich gewünscht, das Lied der Wolkenländer und der Regeninsel wieder zu hören. Hatte sich danach gesehnt mit jeder Faser ihres Körpers. Oft war sie wie die anderen, nachts wachgelegen, zwischen den Wolken und hatte gelauscht, gehofft und war dann mit einem brennenden Schmerz in der Brust in den Schlaf gesunken. Nur wenige konnten das leise Wispern in dieser fremden Welt, so weit entfernt von den Liedern nach denen sich ihre Herzen so sehr verzehrten, noch hören. Kyinn war eine von ihnen. Doch der Preis für diese Gabe war die Dunkelheit der Nacht in ihren Augen, womöglich auch in ihren Herzen.

„Hier ist es,“ sagte Kyinn und ihre Stimme zerschnitt die matte Stille. Skyum, aus ihren Gedanken gerissen, öffnete abrupt die Augen. Sie hob die Hand von der Konsole und der Flieger stand wieder still.

„Holt die Kristalle,“ befahl sie den drei Rekruten. Die drei Männer gingen in den hinteren Teil des Fluggeräts und schoben eine Holzkiste in die Nähe der Öffnung. Die alten, brüchigen Bretter schabten über den geriffelten Metallboden. Einer der Drei zog die Decke, die ihren Inhalt schützen sollte, von der Kiste. Sie gab ein Flimmern, Glitzern und ein weißes Rauschen frei.

Die drei Rekruten blinzelten und traten einige Schritte zurück. Skyum musste nicht wie sie verzweifelt in die Kiste starren um herauszufinden, was sie dort gerade abgedeckt hatten. Keine Beschreibung ihrer kurzen Ausbildung beinhaltet den Kern ihres neuen Lebens, die letzte Zuflucht in dieser fremden Welt. Wahrscheinlich konnte man der eigentlichen Realität nur mit eigenen Augen gewahr werden.

Kyinn griff sich den Stein, der ihr am nächsten lag. Sie wog in sanft in den Händen. Er funkelte und glitzerte, kristallklar war seine Oberfläche. Ein sanftes Strahlen ging von ihm aus und das rötlich orangene Farbspektrum spiegelte sich in seinem Inneren. Vor langer Zeit hatte Skyum selbst einen dieser Kristalle in Händen gehalten, seine Wärme gespürt, das leichte Zittern das von ihm ausging und ihr durch Mark und Bein geglitten war. Kyinn trat an die Luke und ließ den Stein aus ihrer Hand in die Leere unter sich gleiten. Er erinnerte Skyum an einen der gefallenen Sterne, die sie als Kind so gern gezählt hatte, wenn sie nicht einschlafen konnte. Funkelnd schoß er durch die Wolkenberge hindurch und verschwand in der Tiefe. Kyinn schien erneute zu lauschen. Auch Skyum trat zwei Schritte nach vorn und schaute hinab in die bauschenden Wolken. Sie zog die Luft in ihre Lungen, den süßen, fast saftigen Farbenduft dieser Wolkenwelt. Wie anders sie doch duften und schmecken würde, wenn der Kristall erst… Ein Knacken, ein Zischen und Knistern kroch aus den endlosen Tiefen unter ihnen zwischen den geschwungenen Linien der Wolken zu ihnen hinauf. Kyinn nickte, scheinbar zufrieden, griff erneut in die Kiste und ließ einen zweiten Kristall in die Tiefe fallen. Das Knirschen und Knacken schien anzuwachsen. Bewegung kam in die Wolkenmasse unter dem Flieger. Die Wolken wirbelten, waberten. In alle Richtungen schienen die Wolkenberge zu fliehen. Farben verwischten sich und zwischen die hellen Orange- und Gelbtöne trat ein rötlicher Stich hervor, ein sattes samtrot schien aus der Tiefe an den Wolkenhängen emporzukriechen. Kyinn ließ einen weiteren Stein zwischen ihren Finger hinabgleiten, dann einen weiteren. Das Knacken wurde stetig lauter, als schien es nach mehr zu lechzen, knurrend nach Nahrung und Wachstum zu verlangen. Skyum sah zu Kyinn hinüber.

Sie hatte die Augenbrauen zusammengezogen, wog einen weiteren Kristall in ihren Händen. Schließlich hielt sie den Stein über den Öffnung, lauschte ein letztes Mal und ließ ihn fallen.

„Das war der Letzte.“ Sie blickte zu Skyum. Diese runzelte die Stirn.

„Fünf? Das wird mächtig groß, oder?“ Kyinn trat einen Schritt zurück und verschränkte ihre Hände wieder hinter ihrem Rücken. Sie nickte nur leicht. Skyum war dies Antwort genug und sie ließ ihren Blick wieder unter sich zwischen die Wolken gleiten. Blutrot waren deren Ränder und inmitten der wallenden samtroten Masse glitzerten Spitzen, feine kristallene Finger schienen aus den bauschigen Samtrot nach ihrem Flieger zu greifen. Ein tiefes Grollen drang aus der Tiefe zu ihnen herauf und ein warmer Luftzug wirbelte ihr die Haare in das Gesicht. Sie sog die Luft ein, doch der warme satte Duft war verschwunden. Ein salziger, saurer Geschmack legte sich auf ihre Zunge und der scharfe Geruch biss in ihrer Nase. Zacken, weiß schimmernd, durchbrachen die Wolkendecke und wuchsen stetig dem Oben entgegen.

Wieder ließ ein Knacken und Grollen die Luft vibrieren und das kleine Fluggerät schwankte in der warmen Luft. Blitze durchzuckten die rote Wolkenmasse. Ein hohes Kreischen und ein Knirschen ließ die Luft vibrieren. Hitze schoß durch die Öffnung des Fliegers in ihr Gesicht, ihre Atemwege und brannte in ihren Augen.

„Wir sollten uns auf den Weg machen, Skyum.“ Die Rekruten waren mehrere Schritte zurückgetreten und versuchten dem heißen Dampf aufzuweichen.

„Sie haben Recht,“ einen kurzen Moment ließ sie ihren Blick noch auf den Zacken des Kristalles ruhen, ehe sie sich umwandte. Zügig schritt Skyum zur Konsole und ließ sich auf den Sitz fallen. Ihre Finger flogen über die blinkenden Anzeigen. Die Luke schloss sich zischend und mit einem Flackern und einem kurzen Lichtblitz verschwand die Wolkenwelt um sie her und die Enge des Fliegers hatte sie wieder verschlungen. Ein leichter Luftzug durchzog den kleinen Raum und nahm die Hitze des wachsenden Kristalls mit sich hinaus in die Wolkenwelt. Skyum lehnte sich zurück.

„Bitte alle setzen. Wir treten den Rückweg an.“ Sie legte die flache Hand auf die glatte Oberfläche und schloss die Augen. Rote Wolken stoben vor ihrem inneren Auge auf.

Sie schienen zu bluten, durchrissen von den Spitzen der kristallenen Türme die sich durch die dichte Decke aus Wolken zum Abendlicht hinausschoben. Sie öffnete ihre Augen wieder, der Funke von Trauer glitt an ihrem Herzen vorbei. Dann nahm sie die Hand von der Konsole. Der Flieger beschleunigte und schoss durch die nächste Wolkenwand. Wirbelnd stob sie auseinander und hüllte den Flieger in einen feinen orangenen Nebel, der vom kühlen Blau der aufziehenden Nacht durchzogen war. Als der Dunst sich auflöste, sah sie sie blitzen, flimmern und glänzen in der Ferne. Ihre Spitzen stachen in den dunkler werdenden orangenen Himmel, an dessen Horizont ein dunkles Blau zu ihnen herüberkroch. Kristallwolken schienen zwischen den orangenen Bergen zu wachsen. Scheinbar unverrückbar standen sie in den Tälern der hohen Wolkenberge. Skyum lenkte den kleinen Flieger zwischen die Wolken hindurch in Richtung einer größeren Ansammlung von Spitzen und Zacken, die sich zwischen den wallenden Bergen verschränkten und bereits den silbrigen Glanz des aufgehenden Mondes reflektierten. Doch der größte Kristall von ihnen leuchtete von innen und strahlte in einem hellen zarten Blau hinaus in den Abend.

Ihr Refugium, ihre letzte Zuflucht lag dort vor ihr in den Wolken. Doch die Kristallstadt, die noch immer hinter ihr aus den Wolken erwuchs, würde ihre Capitale werden.

Eine neuen Heimat und das Zentrum neuer wispernder Lieder zwischen Wolken. Skyums Gedanken begannen wieder im Takt der Maschine zu schlagen, der metallische Geruch brachte ihr ein Stück heimatlicher Ruhe. Während sie den Flieger in die Kristallsiedlung lenkte, zog die beginnende Nacht herauf. Eine kristallwolkenklare Nacht.

Autorin: Jana Büch, geschrieben 2012, inspiriert von dem schönen Bild, das Ju/Christina B. gemalt hat.