Unordnung, im ganzen Raum herrschte Unordnung. Eine unmögliche Ordnung, seine Ordnung der Dinge, eine Ordnung, die sie nicht verstehen und niemals verstehen wird. Da liegt Papier auf Papier, Buch auf Buch, da schmiegen sich Kabel um Kabel und Kisten stapeln sich um Kisten. Es ist keine Ordnung, es ist ein heilloses Durcheinander. Sie versucht ein System zu erkennen, einen Sinn zwischen all den tausend Dingen, den zig Zetteln mit Notizen, kariert und weiß, blau, rot, grün und einfach nur grau beschriftet. Knitterfalten zieren hier einen Brief, dort einen – Einkaufszettel?
Ein instabiler, labiler Berg aus Papier, Taschen, Zetteln, Folien, Stiften, Kistchen, Schnüren und mittendrin ein Tüte Bonbons. Sie thront im Zentrum des Chaos wie ein kunterbunter Jahrmarkt inmitten einer winterlich-grau, verwaisten Großstadtinsel. Ein zetteliges buntes Chaos, und sie sucht nach einer Ordnung, um zu finden, was sie sucht. Dort liegt ein blauer Fineliner quer über einen klitzekleinen, karierten Ringblock. Zahlen, alles ist voller Zahlen, und Buchstaben, Buchstaben, die ihr in dem Wust so fremd erscheinen. Sie krabbeln vom Papier zwischen die dunklen Lücken im Chaos, verschwinden zwischen den Seiten. Sie hört sie rascheln und flüstern. Sie streift ein, zwei Zettel vom Stapel. Unwichtig, Linie, einige Zahlen, addiert, substrahiert und am Ende ein Negativbetrag. Noch ein Blatt fast leer, nur oben rechts thront ein Auftrag, den Zeigefinger drohend erhoben: Nicht vergessen! Darauf folgt weiße Leere. Beim vierten Blatt raschelt der Stapel, Buchstaben und Zahlen, Schatten huschen über den Tisch. Sie verschwinden in den Ritzen des Holzes, in den Lücken, den feinen Spalten zwischen Papier, Bücher und Kabeln, Kistchen, Folien, Fotos, und Bonbontüten. Es knistert als sie eine Folie aufhebt, matt. Darunter versteckt sich ein dickes Kabel, wie eine Schlange kringelt es sich zwischen den Seiten und auf dem linierten Papier, das von oben bis unten beschriftet ist. Zahl folgt auf Wort folgt auf Satzzeichen folgt auf Skizze folgt auf Wort und Buchstabe und Zahl. Dort liegt das Kabel, inmitten dieses Wortwustsalats, wie eine Schlange und wartet darauf, zuschlagen zu können, wartet auf den richtigen Moment, den Moment in dem es aufspringen, zubeißen wird.
Sie lässt das Papier zurückfallen. Legt die Folie oben auf. Es muss eine Ordnung geben, einen Sinn hinter all dem, eine Un-Ordnung in der Ordnung. Sie geht, und mit zittrigen Gliedern lugen die Buchstaben und Wörtern unter den Zetteln hervor. Sie wird uns sortieren, sie wird uns ordnen, flüstern sie und huschen im Schutz des Schattens über den Tisch. Das hat er nie gewagt. Sie wagt es. Es raschelt. Sie ist wieder da, hält einen Karton in der Hand. Kein Kistchen, eine Kiste. Groß, schwarz, leer und kalt. Es raschelt, es flüstert und zittert. Sie greift nach der Folie, schaut sie kurz an und legt sie dann in die Kiste. Sie greift nach dem Papier, dem fast leeren, das Papier mit dem erhobenen Zeigefinger, den Zeigefinger, der auf nichts zeigt und nur leere Versprechungen macht. Leere Phrasen klopft. Es knackt, es schrillt den Buchstaben und Zahlen in den Ohren, als sie nach dem Papier greift und es zerknüllt. (Autorin: Jana Büch)
Wie hat euch der Texthappen gefallen? Gibt es bei euch auch unaufgeräumte Ecken in der Wohnung?
Der kurze Text ist am 3. Februar 2022 in einer Schreibübung entstanden, nach dem writing prompt Nr. 302 von der Website thinkwritten.com – „Clutter: Is there a cluttered spot in your home? Go through some of that clutter today and write about what you find or the process of organizing.“ Schreibübungen helfen mir immer sehr gut dabei, Ideen zu entwickeln oder einfach mal drauf los zu schreiben. 🙂
Ich hoffe, ihr hattet Spaß beim Lesen!
p.s.: Mit einem Klick auf die Überschrift könnt ihr die Geschichte auch als PDF herunterladen.
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