Viele Geschichten handeln davon, dass sich einfache Menschen auf eines Reise begeben, ein Held zu werden – meist ohne, dass sie das beabsichtigen. Einige entdecken dabei, dass sie Zauberkräfte besitzen, Magie wirken können oder ein besonderes Erbe in sich tragen. Wie wäre es aber, wenn jemand entdeckt, dass nicht er selber, sondern der beste Freund, Partner oder Familienmitglied zaubern kann? Alle anderen zaubern können, nur man selber nicht?
Diese kurze Geschichte aus der Schublade – Magie und andere Normalitäten, oder: Lara und Karl in der Küche – erzählt von einem jungen Paar, dass eine Art Zweckehe führt, ohne dass beide Partner davon wissen. Viel Spaß beim Lesen!
Lara, die wissen will, wie Karl das gemacht hat
Die ganze Küche riecht nach Basilikum und Rosmarin, Zitronenschalen, abgebrannten Streichhölzern und nasser Erde. Wie ein Gewächshaus, warm und stickig klebt die Luft in meiner Nase, während ich mit zusammengekniffenen Augen versuche deine krakelige Handschrift zu entziffern. Während meine Augen über das Rezept in deinem abgenutztem Notizbuch wandern, zerreibe ich den Oregano zwischen meinen Fingern.
‚Kräuter, etwas Flüssigkeit und sieben Wörter, mit fester Stimme im Dreiviertel-Takt gesprochen‘, ist das einzige, was du als Zutaten notiert hast. Die Wörter hast du mit einem roten Stift direkt darunter notiert.
„Finde, finde, Wahrheit rein. Wahrheit, sei mein,“ flüstere ich, dann lauter: „Finde, finde, Wahrheit rein. Wahrheit, sei mein.“
Was für ein dämlicher Spruch, fährt es mir durch den Kopf. Reibe die Kräuter zwischen meinen Fingern und schwenke meine Hand über der Backschüssel mit dem knappen Liter Milch darin. So dumm kam ich mir das letzte Mal beim Faschingsfest in der Grundschule vor, als ich alle mit meinen miesen Zauberkünsten beeindrucken wollte. Und doch, die Erinnerung an heute Morgen nagt an mir, wie ein Holzsplitter, den man sich beim Aufräumen in den Zeigefinger gestochen hat. Zuerst bemerkt man nur ein Kratzen und denkt sich nichts weiter dabei. Macht weiter, räumt und putzt. Doch dann setzt man sich bei einer Tasse Kaffee auf das Sofa und genießt die Stille des Tages und die erledigte Arbeit. Und während man nach der Tasse greift, sie mit den Fingern umschließt und die Wärme genießt, die vom Teewasser durch das Porzellan in die Finger fließt, fährt ein fieses Stechen durch den Zeigefinger in die Hand. Es piekt immer wieder. Man stellt die Tasse ab und sieht die rote Stelle an der Fingerspitze und das fiese schwarze Teilchen direkt unter der Haut. Den Splitter, den ich heute früh um sieben Uhr achtunddreißig in meinem Leben entdeckt habe, muss ich mir schon vor acht Jahren eingerissen haben.
Ich wische mir die Reste des Oreganos von den Fingern und greife nach dem getrockneten Rosmarin. Ein Teelöffel davon soll zu der Milch gegeben werden und zweimal im und zweimal entgegen dem Uhrzeigersinn gerührt werden, mit einem Löffel aus Kupfer. Aus Kupfer. Ich starre die Anleitung an, die du dir in einem deiner über zwanzig Notizbücher notiert hast. Es ist eines der Notizbücher, die ich dir seit acht Jahren jedes Jahr zum Geburtstag schenke, selbst gebunden. Waren es wirklich schon so viele? Tagelang habe ich daran gesessen. Und nun verhöhnt es mich.
Oregano-Milch mit Rosmarin und einigen gesungenen Sprüchen dazu. Das klingt nicht nur nach Blödsinn, das ist Blödsinn. Ich ziehe einen Stuhl unter dem Küchentisch hervor und lasse mich darauf sinken. Mit einem Küchentuch reibe ich mir die Finger sauber. Du bist seit drei Stunden überfällig. Mein Blick wandert zur Küchenuhr über der Tür. Halb vier, zum Mittag wolltest du zurück sein. Zumindest stand das auf dem kleinen Notizzettel, den du heute morgen neben den Spiegel im Flur geklebt hast. Resigniert wandern meine Augen über den breiten Küchentisch. Ich habe wirklich alles versucht: Mathematische Formeln gesungen. Kerzen, Kräuter und Haare verbrannt. Sprüche auf altes Leder geschrieben und in feuchter Erde begraben. Und die Küche in ein Schlachtfeld verwandelt. Rechts auf der Spüle stapeln sich Schüsseln aus weißer Plastik, glänzende Töpfe und Einkochgläser. Mehl, Backpulver und Früchte, Äpfel und Orangen sind durch mein Werkeln wild über die Arbeitsfläche verteilt. Die Schalen des Apfelorakels liegen gekringelt auf dem Boden, nachdem ich wütend das kleine Schälmesser in die Spüle geworfen hatte. Auf dem angrenzenden Herd steht eine Pfanne mit schwarzem Inhalt, die Nüsse sind kaum noch zu erkennen. Meinen Eltern werde ich wohl später von vielen tollen Gerichte erzählen, nur um nicht zu offenbaren, dass ich ihre Walnüsse für ein gehaltvolles Nussorakel anrösten wollte. Vor mir auf dem Tisch türmen sich die Bücher, Notizhefte und Broschüren, die ich vor zwei Stunden in deinem Zimmer entdeckt habe. Nachdem du einfach nicht nach Hause gekommen bist.
Acht Jahre, meine Hände krallen sich in den Stoff der Küchenschürze, der rosa geblümten, die du mir vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt hast. Sie werden zu Fäusten und Wut schwappt durch meine Glieder, wie heißer Sirup. Den Blick in eine deiner stümperhaften Zeichnungen verkeilt (sollen das Zahnstocher oder Messer sein?), versuche ich mich gedanklich zu sortieren.
Acht Jahre. Acht Jahre, eine Hochzeit und sogar eine gemeinsame Eigentumswohnung und dir ist es nicht ein einziges Mal eingefallen, mir zu beichten, dass du übernatürliche Kräfte hast? Oder Zaubern kannst? Oder wie auch immer ihr dazu sagt. Ihr, denn du kannst nicht allein damit sein, nachdem du heute früh so energisch mit unserem Spiegel im Badezimmer gesprochen hast.
Ich schließe kurz die Augen und hole tief Luft. Und wie jedes Mal seit heute Morgen fliegen wieder Tassen, Teller und Gabeln vor meinem inneren Auge durch die Luft. Damit hast du dich heute früh verraten. Du hast versagt, dieses Mal habe ich dich durchschaut. Und nein- Nein, denke ich fest. Nein, ich bin nicht verrückt. Ich habe die Gabel schließlich aus der Luft gegriffen, mitten im Flug. Als sie auf dem Weg in den Geschirrspüler den knappen Meter vom Küchentisch schwebend überbrückt hat.
Wie konnte ich das bloß all die Jahre übersehen? Warum hat es mich nie interessiert, was du jeden Abend in deinem kleinen Hobbyzimmer treibst? Meine Fingernägel bohren sich in meine Handflächen, als ich fester in die Schürze greife. Diesmal bin ich dir zuvorgekommen. Ich stehe auf, schiebe den Stuhl zurück unter den Tisch und starre auf das vorletzte Rezept. Zitronengras und die Zweige einer sterbenden Lärche sollen in einer Pfanne mit Walnussöl verdampft werden. Verdampft, lese ich ein zweites Mal. Bevor ich das Zeug anbrate, werde ich den Brandmelder abhängen. Ich gehe zum Küchenwagen und suche in der zerknitterten Aldi-Tüte nach den kleinen Zweigen, die ich heute Mittag draußen gesammelt habe.
Als du nicht nach Hause gekommen bist, habe ich angefangen nach Hinweisen zu suchen und dann nach Lösungen. Die Lärchenzweige sehen aus wie dürre, knorrige Finger. Sie sind trocken und die Rinde bröselt unter meinem Griff in kleinen Schuppen von den Zweigen. Mist, das Zeug krümelt auch noch den Boden voll. Mein Blick wandert zum Küchentisch. Egal, da bekommen die Keks- und Brotkrümel eben Gesellschaft. Ich schnappe mir das große, scharfe Messer aus dem Messerblock und höre schon deine warnende Stimme in meinen Gedanken: „Sei vorsichtig!“
Einen Teufel werde ich sein. Ich schnaube für mich in die Stille der Küche hinein und beginne die Zweige zu malträtieren. Aus dem Augenwinkel streift mein Blick die Überschrift der Seite: „Pulver, um falsche Wahrheiten und Geheimnisse zu offenbaren“. Wenn du es mir nie sagen konntest, werde ich dich eben zwingen, mir deine falschen Wahrheiten zu offenbaren. Meine Finger krampfen sich um den metallischen Griff des Messers. Die scharfe Schneide gleitet durch das Holz und knallt auf das Holzbrett. Immer und immer wieder hacke ich auf die Zweige ein. Und mit jedem Hacken scheint das Wuttier in mir anzuschwellen. Es brüllt. Es brüllt und faucht, weil es sich verraten fühlt. Es brüllt und schlägt mit seinen Pranken um sich, weil du mir nicht vertraust. Und es brüllt voller Verzweiflung, weil meine Entdeckung eine Wunde gerissen hat, dort wo dein angestammter Platz in meinem Herzen ist. Ich spüre, wie meine Sicht verschwimmt und etwas Warmes über meine Wangen wandert. In großen Tropfen fallen meine Tränen auf die Lärchenzweige und in die Milchschüssel. Ich halte kurz inne, als das Klappern deiner Schlüssel durch den Flur klirrt. Beim Kratzen der Tür auf dem Fliesenboden zucke ich kurz zusammen. Und dann stehst du in der Küchentür, mit deinem zerknitterten Mantel, und bringst die kühle, satte Winterluft und einen Hauch von Qualm mit herein.
Karl, der heute Morgen vergessen hat, Laras Kaffee zu pimpen
Als ich nach Hause komme, bist du furchtbar aufgebracht. Die ganze Küche ist ein einziges Schlachtfeld, in dessen Mitte ein Turm meiner Notizbücher, Folianten und Zauberbücher errichtet wurde. Es riecht wie in Tante Marlies Laden für Trank-, Ritual- und Spruchzutaten: nach altem Obst, Kräutern, frischer nasser Erde und Rauch. Und ein kleines bisschen nach Algen, See und altem Fisch. Ich frage dich lieber nicht, woher dieser Geruch kommt. Denn du starrst mich aus schmalen Augen an. Feuchtigkeit glänzt auf deinen geröteten Wangen. Deine Lippen sind zu einer flachen Linie zusammengepresst. So sehen deine Lippen aus, wenn du unzufrieden, gestresst und genervt bist. Wenn du erwachsen bist. Du legst das Messer neben das Schneidbrett auf dem du gerade wie verrückt etwas zerhakt hast, das wie kleine Zweige aussieht. Ich spüre, dass du es mit großer Leidenschaft zerkleinert hast. Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, tust du es immer mit großer Leidenschaft, bis du dein Ziel erreicht hast. Oder- Oder bis du das Ziel nicht mehr erreichen willst.
Leidenschaft, Hartnäckigkeit, Durchhaltevermögen. Ich versuche meinen Geist nicht nach der Energie auszustrecken, die die ganze Küche erfüllt. Seit heute früh musst du hier drin gewesen sein und sämtliche Zaubersprüche ausprobiert haben, die ich jemals für mich entwickelt und notiert habe. Der Tisch, der braun geflieste Boden, der Küchenwagen mit den Sirupflaschen, das kleine weiße Regal neben dem Kühlschrank, der breite Küchentisch und selbst die Deckenlampe aus Emaille. Alles trieft von deiner kreativen Energie, deinem Mana. Ist mit dem typischen milchig weißen Tau bedeckt, der bald zu einer feinen Reifschicht verkrusten wird. Meine Macht. Mein Schatten flüstert mir zu danach auszugreifen, diese Macht in meinen Geist aufzunehmen, alles abzulecken. Doch ich weiß, was es mit mir tut, wie betrunken es mich macht. Wie gefährlich eine Überdosis davon wäre.
Fast so gefährlich, wie eine Überdosis von deinem wütenden Ich. Denn ich habe deine Frage nicht gehört und dir nicht geantwortet, so überwältigt sind meine Sinne von deiner Schaffenskraft, mit der du die Küche in ein Eldorado, einen Schokoladenbrunnen voller magischer Energie verwandelt hast.
„Ich habe dir eine Frage gestellt,“ deine Brust hebt und senkt sich schnell, „was hat das zu bedeuten?“
Du zeigst mit einem zitternden Zeigefinger auf die Bücher.
„Wie lange hast du es mir verheimlicht? Wie lange?“
Deine Stimme wird lauter und erreicht diesen Ton, bei dem sich alle meine Sinne winden und ein starker Fluchtreflex in mir wach wird.
„Ich habe heute früh gesehen, wie du gezaubert-“ Du stockst kurz. „-oder was auch immer, hast. Wie du verschwunden bist. Wie lange?“ Jetzt schreist du fast.
„Ich-, Lara, ich habe keine Ahnung wovon du redest,“ sage ich und bin erstaunt, wie ruhig und gelassen, leicht verwirrt meine Stimme klingt. Der Manabrunnen, den du mir bereitet hast, hilft mir mich zu konzentrieren.
Du schnaubst. „Bitte?“
„Keine Ahnung,“ ich nicke mit dem Kopf zu den Büchern, „aber musstest du die alle hierher räumen? Nachdem ich die doch gerade letztens erst neu sortiert habe.“ Deine Augen weiten sich etwas. Ich lächle leicht.
„Komm schon, Lara, zaubern? Ernsthaft?“
„Ernsthaft?“ Du bist wirklich ziemlich laut. „Ich habe heute früh gesehen, wie Teller, Gabeln und Tassen aus der Spülmaschine in die Regale geflogen sind.“
Du schnappst dir eine Tasse vom Tisch, wedelst sie kurz in meine Richtung und knallst sie kraftvoll auf die marmorierte Arbeitsfläche neben der Spüle. Machst zwei Schritte auf mich zu.
„Also verkauf mich nicht für blöd.“ Du hast deine Stimme gesenkt, ein schlechtes Zeichen.
„Lara Schatz-“, das war ein Fehler, denn du neigst den Kopf und deine Stirn kräuselt sich noch mehr als zuvor.
„Lara, ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst,“ ich gehe zum Tisch und greife mir das oberste Buch vom Stapel. Eines der Notizbücher, die du mir zu meinem 29. Geburtstag gebunden hast. Als du es mir damals gegeben hast, glänzte es hell von silbrig weißem Manatau. Für dich unsichtbar, für mich unendlich wertvoll. Denn an diesem Tag bin ich in der Lindenallee zum ersten Mal einer Drude begegnet und dein Mana war meine letzte Rettung. Doch das konnte ich dir damals nicht erzählen, und ich werde mich hüten, es dir heute zu erzählen.
„Das hast du mir doch selber geschenkt. Und du weißt, dass ich da meine Notizen für die Rollenspielabende drin sammle.“ Deine Miene wird etwas weicher. „Also, was ist los? Was soll das hier?“ Deine Schultern sinken etwas und du wirkst unsicher.
„Ich weiß doch, was ich heute früh gesehen habe,“ sagst du mit fester Stimme, aber nun etwas leiser. „Die Tassen, die Marmeladengläser“, dein Blick wandert über den Küchentisch und den Kühlschrank, „da war so ein Summen in der Luft. Und du hast so komisch vor dem Spiegel gestanden und Selbstgespräche geführt…“ Du stockst und runzelst die Stirn. Ich lege das Buch zurück auf den Stapel. Mein Blick wandert über den Bund Rosmarin und Salbei, der halb zerrupft über den Tisch verteilt liegt, die schmutzigen Teller, das Brettchen mit dem zerhakten Holzstückchen und die Backschüssel mit der Milch darin.
„Ich habe für den Vortrag vor der Geschäftsführung geübt,“ sage ich und greife nach der Tasse, die du neben die Spüle geknallt hast. Es ist die Kleine mit den bunten Farbspritzern darauf, meine Lieblingstasse. „Heute war doch die Entscheidungssitzung, wegen des Angebots.“
„Der Vortrag, stimmt,“ flüsterst du und starrst auf die Tasse. „Das hatte ich ganz vergessen.“ Du schaust mich an, wanderst suchend über mein Gesicht. Locken haben sich aus deinem sorgfältig geflochtenem Zopf gelöst und hängen dir ins Gesicht.
„Kein Problem,“ sage ich gelassen und halte dir die Tasse hin. „Was ist denn los mein Schatz? Was ist heute passiert?“
„Ich- ich weiß auch nicht,“ sagst du mit gerunzelter Stirn. Tau perlt von der Tasse ab, für deine Augen unsichtbar. Aber als deine Finger sie umschließen wollen, entgleitet sie dir. Du zuckst zurück und sie stürzt den gefliesten Boden entgegen. Stoppt, für den Bruchteil einer Sekunde schwerelos in der Luft, bevor ich viel zu langsam nach der Tasse greife. Angepinnt durch dein Mana und meinen Geist, der sich nicht zurückhalten konnte. Mein Blick zuckt von der Tasse in meiner Hand zu dir, deine Augen weiten sich.
„Also doch!“ rufst du und schnellst einen Schritt zurück, in Richtung Küchentür. „Wie lange lügst du mich schon an?“ Du starrst mich an. Ungläubig, enttäuscht. Verärgert? Du bist so schwer zu lesen, wenn du so aufgebracht bist.
„Lara, warte-“ ich mache einen Schritt auf dich zu. „Es ist- es ist kompliziert.“
„Kompliziert? Das-“ Du greifst zur Türklinge, willst verschwinden. „Das ist nicht dein Ernst.“ Deine Augen sprühen vor Wut, sind rot und feucht. Etwas brennt in mir, tief in meinem Magen. Die Schuld beißt sich von innen in mir fest. Ich hasse es, dich so zu verletzten.
„Lara, warte doch!“ Bevor du die Tür auch nur einen Spalt aufgezogen hast, packe ich dein Handgelenk. Es ist so schmal, so zerbrechlich, warm und wertvoll.
„Warte, bitte,“ meine Stimme bricht, flehentlich. Du starrst mich an, realisierst meine Hand um deinen Arm, den harten, engen Griff. Doch ich kann dich nicht gehen lassen, nicht so.
„Lass, mich, los,“ zischt du und deine Stimme zittert. Du zitterst. Verdammt.
„Warte. Bitte, Lara,“ und umspült von Schuldgefühlen kann mein Schatten nicht anders, als um sich zu greifen. Endlich die Energie, die Macht zu kosten, mit der du die Küche in den letzten Stunden erfüllt hast. Sie schwappt in einer großen Flut in mich hinein, mein Schatten labt sich an dem weißen Schleier, wie ein trockener Schwamm saugt mein Geist die Energie von den Oberflächen, leckt über die glänzende Macht, die du in der ganzen Küche verteilt hast. Berauscht meine Sinne, helle Blitze zucken vor meinem inneren Auge auf und ein Kribbeln fährt über meine Haut als das Mana endlich durch meine Adern rauscht. Du bemerkst es kaum. Als ich die Augen öffne, schaust du mich immer noch wütend an. Zitterst als du versuchst deine Hand aus meinem Griff zu winden.
„Lass mich sofort los,“ zischt du nun energischer und willst mich mit deiner anderen Hand von dir stoßen. Doch dein Mana ist stark in mir.
In deiner Wut bemerkst du wohl am Rande, dass etwas in dich hinein sickert. Etwas Fremdes, etwas Neues, dass vorher so noch nicht dagewesen war. Ein Schatten purer arkaner Macht, der sich über deine Gedanken legt, ein zarter mattschwarzer Film, der dich zurücktreten lässt. Dein Blick wird leer, du schaust zum Tisch, zur Küchenzeile und runzelst die Stirn. Deine Schultern entspannen sich, als mein Geist über den Schatten in dich hineingleitet, nach deinem ausgreift, deine Erinnerung an heute morgen erreicht und den mattschwarzen Schleier sanft dort hin leitet. Mithilfe deines Manas greife ich nach deiner Erinnerung aus, forme aus fliegendem Geschirr und sprechenden Spiegeln ein ruhiges Frühstück mit frischem Toast und Marmelade, warmes Wasser aus der Dusche und den Duft deines Himbeershampoos. Ich spüre wie dein äußerer Widerstand verebbt, du die Hand sinken lässt. Du blinzelst mehrmals, blickst suchend durch die Küche. Bleibst an meinen Augen hängen, ich lächle. Lächle breiter, als ich mich langsam aus deinem Geist zurückziehe. Du wieder du bist, ohne verwirrte Erinnerungen an heute Morgen.
„Schatz“, frage ich dich und umfasse nun sanft deine Finger, „geht es dir gut?“ Du siehst mich fragend an, blinzelst mehrmals.
„J-, ja,“ flüsterst du zögernd, schaust an mir vorbei zur Spüle. „Was ist denn hier-,“ sagst du und trittst einen Schritt an mir vorbei. „Was ist denn passiert,“ du greifst an deine Stirn, scheinst zu überlegen, sehr intensiv. Denn kleine Tropfen weißer, eisiger Energie sickern aus deinen Füßen auf den gefliesten Küchenboden.
„Naja,“ ich kratze mir verlegen im Nacken, „ich wollte dich eigentlich überraschen,“ mein Blick schweift über das Chaos in der Küche, „aber da ist wohl etwas schief gegangen.“ „Etwas?“ du drehst dich zu mir um und hebst die Augenbrauen. „Etwas ist wohl ziemlich untertrieben.“ Du schnaubst amüsiert und zeigst auf die Kräuter, das Holz und die Milchflecken, die auf dem Tisch verteilt sind.
„Lass uns das aufräumen,“ sagst du und grinst mich schief an. „Ich gehe schnell ins Bad und hole mal einen Eimer und Müllbeutel- und dann zeige ich dir mal, wie man das besser macht.“ Mit diesen Worten und einem warmen Lächeln auf den Lippen drehst du dich um und verschwindest durch die Küchentür.
Karl, der eine Standpauke vom Affen bekommt
Erleichterung, pure, warme Erleichterung perlt durch meinen Körper, als ich das Klappern des Eimers aus dem Bad höre. Du bist wieder du, dein reines, warmes Ich. Ich trete hinüber zur Spüle und beginne den Topf, die Schüssel und das Besteck in die Spülmaschine zu räumen. Nach wenigen Handgriffen kleben meine Finger vor Honig und anderen Substanzen.
‚Das war knapp.‘ Ich zucke kurz zusammen, als dein Schatten sich zu Wort meldet. Er hält es in unserer Wohnung selten für nötig, dir überall hin zu folgen. Sehr zu meinem Leidwesen.
„Das war nicht knapp,“ sage ich tonlos.
‚Das war die knappste und damit stärkste Erinnerungsmanipulation seit langem,‘ höhnt seine Stimme von der Küchenlampe her.
„Wenn du das so siehst,“ sage ich und wende mich der Arbeitsfläche mit dem Mehl und Obstschalen zu.
‚Du solltest vorsichtiger werden.‘
„Was geht dich das an?“
‚Ich mein ja bloß.‘
„Deine Meinung interessiert mich aber nicht.“ Dein Schutzgeist war schon immer ziemlich nervig und vorlaut, wie sonst keiner.
‚Wie ich dir bereits zu einem früheren Zeitpunkt dargelegt habe, zähle ich mit, und ich fühle mich dazu berufen dir mitzuteilen, dass das gerade eben der 31. Gedächtniszauber war, den du allein in diesem Jahr an Lara durchgeführt hast.‘
Ich schlucke und blicke nun doch zur Lampe. Dort klebt, nein, hängt ein Schatten am grauen Lampenschirm. Es ist unverkennbar, dass dein Schutzgeist ein Affe ist. Auch wenn er mehr einem ausgefransten Wasserfleck gleicht. Davon abgesehen, hängt er an einem gekringelten Schattenschwanz vom Lampenschirm herab, knapp über der Schüssel mit der Milch.
„Was willst du mir damit sagen?“ frage ich gereizt. 31, dass war mir nicht bewusst. So oft? Als hätte der Affe einen Stöpsel gezogen, fließt die Erleichterung aus mir heraus und etwas anderes breitet sich in meinen Gliedern aus. Ein schlechtes Gewissen und-
‚Treib es einfach nicht zu weit, Karl.‘
„Verschwinde,“ zische ich und hebe meine Hand.
‚Das habe ich mir gedacht,‘ säuselt dein Geist und verpufft mit einem dahingehauchten: ‚Bis zum nächsten Mal.‘
(Autorin: Jana Breßler)
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